Vor einem halben Jahr haben wir analysiert, wie viele
Punkte die jeweilige Meistermannschaft in der Bundesliga sammeln konnte. Die letzten Spielzeiten waren von extrem deutlichen Meisterschaften geprägt, stärker noch als die Bundesligaspielzeiten
1971-1972 und
1972-1973 in denen Bayern München mit jeweils 79 Punkten Meister wurde (umgerechnet auf die 3-Punkte-Regel). In diesem Post wollen wir untersuchen, ob und wie sich dies auf die deutsche Nationalmannschaft ausgewirkt hat. Nebenbei ist dabei natürlich auch die Frage interessant: Wann war die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich, mit Spielen aus unterschiedlichen oder wenigen Vereinen? Und profitiert die Nationalmannschaft von eindeutigen Meisterschaften und eingespielten Spielern?
In diesem Post betrachten wir die Vereinszusammensetzung der Startspieler der Deutschen Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften seit 1954. Wie viele Vereine stellen in jedem Turnier die Stammspieler der Nationalmannschaft und wie groß ist die Anzahl der Spieler des Vereins mit dem größten Kontigent? Ist ein großer Block in der Nationalmannschaft wie wir ihn bei dieser Weltmeisterschaft in Brasilien mit Bayern München Spielern gesehen haben ungewöhnlich? Oder haben wir so eine Gruppe bereits häufiger in der Vergangenheit gesehen? Wir beschränken uns dabei auf Startspieler, da die Informationen für Einwechselspieler für die Vergangenheit nicht immer einfach verfügbar ist. Die Daten beruhen auf der Datenbank von weltfussball.de.
In der folgenden Grafik haben wir die durchschnittliche Zahl der Startspieler von dem Verein, der die meisten Spieler stellt über die Zeit dargestellt. In grau sind dabei die erzielten Punkte der Meistermannschaft in der Bundesliga (seit 1963/1964) dargestellt.
Gehen wir chronologisch vor: Die
Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in Ungarn
wurde von Spielern des 1. FC Kaiserslautern dominiert.
Der Verein stelle mit Werner Kohlmeyer, Werner Liebrich, Horst Eckel,
Ottmar Walter und Fritz Walter zwischen in der Gruppenphase zwischen 3
und 4 Startspieler, in der KO-Runde sogar jeweils fünf Spieler.
Insgesamt ein Durchschnittswert von 4,4. Die folgenden Weltmeisterschaft
1958, 1962, 1966 und 1970 konnte kein Verein mehr als drei Startspieler
stellen. So spielten zum Beispiel beim verloren gegangen Finale der Weltmeisterschaft 1966 in England, bekannt durch das legendäre
Wembley Tor, drei Spieler von Borussia Dortmund, je zwei vom Hamburger Sportverein und dem 1. FC Köln, und je ein Spieler vom AC Mailand, Bayern München, Bologna FC, und SV Werder Bremen. Beim
"Jahrhundertspiel", dem Halbfinale der WM 1970 gegen Italien, starteten drei Bayern München Spieler, je zwei HSV und FC Köln Spieler, und je ein Spieler von Borussia Mönchengladbach, AC Mailand, Eintracht Frankfurt und Hertha BSC.
Aber in der vierten
Europameisterschaft 1972 in Belgien,
der ersten mit Deutscher Beteiligung, änderte sich dies deutlich. Die
deutsche Nationalmannschaft brauchte nur zwei Spiele in der Endrunde mit identischer
Startaufstellung zum Titel, in denen standen mit Sepp Maier, Georg
Schwarzenbeck, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Paul Breitner und Gerd
Müller sechs Spieler von Bayern München auf dem Platz. Ansonsten stelle
Borussia Mönchengladbach mit Günter Netzer, Herbert Wimmer und Jupp
Heynckes drei Spieler und SV Werder Bremen und Schalke 04 mit
Horst-Dieter Höttges und Erwin Kremers je einen. Beim zweiten
Weltmeistertitel 1974 im eigenen Land änderte sich relativ wenig in
Bezug auf die Startaufstellung. Paul Breitner wechselte nach der WM zu
Real Madrid und weltfussball.de zählt ihn
im historischen Kader schon als Real Madrid Spieler. Entsprechend starteten meist fünf Spieler von Bayern München, nur im
Spiel gegen Jugoslawien war es vier. Unter den übrigen Vereinen stellten Borussia Mönchengladbach mit Berti Vogts, Rainer Bonhof, Herbert Wimmer und Jupp Heynckes, 1. FC Köln mit Bernd Cullmann, Heinz Flohe und Wolfgang Overath, Eintracht Frankfurt mit Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein sowie Fortuna Düsseldorf mit Dieter Herzog Startspieler.
Die folgenden Jahre waren mit einem
Europameisterschaftstitel 1980 in Italien und zwei Vizeweltmeisterschaften 1982 in Spanien und 1986 in Mexiko von einer Nationalmannschaft bestehend aus Spielern unterschiedlicher Vereine geprägt. Beim
dritten Weltmeistertitel 1990 in Italien gab es beispielsweise kein Spiel in denen mehr als drei Spieler eines Vereins auf dem Spiel standen (erneut nur Startspieler). Inter Mailand stellte mit Lothar Matthäus, Andi Brehme und Jürgen Klinsmann meist drei Startspieler, Bayern München mit Stefan Reuter, Klaus Augenthaler, Hans Pflügler, Jürgen Kohler und Olaf Thon entweder zwei oder drei. In fast jedem Spiel starten mit Thomas Berthold und Rudi Völler auch zwei Spieler von AS Rom. Es waren aber mit Spielern wie Bodo Illgner, Pierre Littbarski, Thomas Häßler, Guido Buchwald, Uwe Bein und Karl-Heinz Riedle auch Startspieler vom 1. FC Köln, Juventus Turin, VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt und Werder Bremen/Lazio Rom verteten.
Die aus deutscher Sicht teilweise erfolgreichen, häufig aber auch enttäuschenden Turniere zwischen 1992 und 2004 waren von starken Kontigenten einzelner Mannschaften (1996 und 2000), aber auch sehr ausgeglichenen Nationalmannschaften (1992, 1994, 2004) geprägt. Ein klares Muster ist dabei nicht zu erkennen. Zwar konnte ein starker Block um Bayern München und Borussia Dortmund die
Europameisterschaft 1996 in England gewinnen und Deutschland den dritten Titel bei einer Europameisterschaft sichern. Hier spielten beispielsweise je vier Spieler der beiden Vereine in der Startformation im Halbfinale und sechs Spieler von Bayern München im Finale. Aber ein starker Block aus München konnte die Enttäuschung vier Jahre später bei der
Europameisterschaft 2000 in den Niederlanden nicht verhindern, als Deutschland zusammen mit England bereits nach der Vorrunde abreisen musste. Auf der anderen Seite waren auch die Weltmeisterschaft 1994 und 1998 in den USA und in Frankreich mit zwei Viertelfinalniederlagen gegen Bulgarien und Kroatien eher enttäuschend, während die
Europameisterschaft 1992 in Schweden im Finale nur knapp verloren ging. Hier konnte keine Mannschaft in einem Spiel mehr als zwei Spieler stellen. Und Deutschland in
Japan und Südkorea bei der Weltmeisterschaft 2002 überraschend (und aufgrund leichter Gegner in der Final-Runde) das Finale erreichen konnte. Hier schaffte es nur Bayer Leverkusen im Halbfinale gegen Südkorea vier Spieler zu stellen, während Bayern München meist drei Spieler stellte.
Im
Sommermärchen 2006 waren Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski für Bayern München gesetzt, Michael Ballack war auf dem Weg nach London und wird bei weltfussball.de bereits als Chelsea Spieler gezählt, währen die übrigen Startspieler aus unterschiedlichen Vereinen kamen. Torsten Frings und Miroslav Klose waren Stammspieler, Tim Borowski spielte für Frings im Halbfinale sowie beim Auftaktspiel (und als regelmäßiger Einwechselspieler). Per Mertesacker war von Hannover auf dem Weg in Richtung Bremen. Ansonsten starteten (ohne das Spiel um den dritten Platz) Spielern wie Jens Lehmann, Arne Friedrich, Christoph Metzelder, Sebastian Kehl, Bernd Schneider und Robert Huth aus Arsenal FC, Hertha BSC, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen und Chelsea FC.
In der
Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz sowie bei der
Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika begann unter Jürgen Löw eine Entwicklung zu einem großen Block, die die Bayern München Spieler Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm ergänzten. Während der ersten beiden Gruppenspiele der
Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine und dem Achtelfinale der
Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien gegen Algerien sah man zum ersten Mal 7 Startspieler aus einer Mannschaft während eines großen Turniers in der dt. Nationalmannschaft. Diese Periode war überaus erfolgreich, zwei Finalteilnahmen und zwei mal das Erreichen des Halbfinales und der vierte Weltmeistertitel für Deutschland.
Wir sahen bereits, dass in den Bundesligaspielzeiten 1972 und 1973 die Meisterschaft mit einer sehr hohen Punkteausbeute einherging. Die Europameisterschafts-Elf um die Bayern München und Borussia Mönchengladbach gilt heute noch als die vermutlich beste deutsche Mannschaft. Ein ähnliches Phänomen beobachtet wir heute wieder. Nach drei Rekordmeisterschaften durch Borussia Dortmund und Bayern München folgt durchaus nicht überraschend eine Nationalmannschaft, die zumindest durch Bayern München geprägt ist. Entsprechend finden wir über den gesamten Zeitraum 1954-2014 eine mittlere bis hohe Korrelation zwischen der Anzahl der Startspieler von dem Verein mit dem größten Kontigent und dem Punkten der Meistermannschaft in der Bundesliga in Höhe von 0,51. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch, wenn wir die Differenz zwischen Bundesligameister und Zweiten verwenden oder die Standardabweichung der Punkte pro Spielzeit.
Ein anderes Maß für die Konzentration in der Nationalmannschaft bestätigt ebenfalls diese Beobachtung. Hier schauen wir uns nicht die Zahl der Spieler der Mannschaft mit dem größten Kontigent an, sondern die Zahl der vertretenden Mannschaften in der Startformation:
Die Grafik muss man entsprechend spiegelverkehrt zur obigen lesen. Fast durchschnittlich zehn vertretenden Mannschaften während der Weltmeisterschaft 1994 bedeutet, dass es sich hier um einen bunt zusammengewürfelten Haufen gehandelt hat. Auffälig ist hier besonders die Europameisterschaft 1972 wo in der Finalrunde nur vier Mannschaften unter den Startspielern vertreten waren (mit Bayern München, Mönchengladbach, Schalke und Werder Bremen, siehe oben). Aber auch die letzten beiden Turniere sind sehr auffälig mit wenig vertretenden Mannschaften. Im Gegensatz zur obigen Grafik fällt aber auf, dass der erste deutsche Weltmeistertitel 1954 eher durch Spieler aus unterschiedlichen Teams plus einen kleineren Block um FC Kaiserslautern herum gewonnen werden konnte.
Die Analysen zeigen, dass nicht unerwartet eine Dominanz in der Liga auch auf dei Nationalmannschaft überträgt. Große Erfolge konnten dabei mit eingespielten Mannschaften wie 1972, 1974 oder eben 2014 erzielt werden. Aber auch eine "wilde Truppe" aus unterschiedlichen Teams kann erfolgreich sein, wie wir es 1980 oder 1990 gesehen haben. Und der erste Weltmeistertitel 1954 und die der letzte Europameistertitel 1996 lagen irgendwo dazwischen.
Ein klares Muster konnten wir dabei soweit nicht finden. Als einfache statistische Analyse haben wir daher die pro Jahr durchschnittlich erzielten Punkte pro Pflichtspiel (auch Qualifikation für WM / EM, Confed-Cup aber ohne Freundschaftsspiele) mit der durchschnittlichen Zahl der Startspieler des Vereines mit dem größten Kontingent verglichen. Dabei haben wir zur Einfachheit halber alle Spielausgänge auch Elfmeterschießen gewertet. Hier zeigt sich eine leichte bis moderate positive Korrelation von 0.34. Für die Zahl der vertretenden Vereine der Startspieler ist die Korrelation aber sehr gering: -0.14. Auf eine detaillierte Analyse mit einzelnen Spieldaten inkl. wollen wir an dieser Stelle verzichten.
Zusammenfassend finden wir einen robusten Zusammenhang zwischen der Situation an der Spitze der Bundesliga und der Spielerzusammensetzung in der Nationalmannschaft (dies gilt auch für Qualifikationsspiele und Freundschaftsspiele, die wir hier weitgehend ausgeklammert haben). Große Erfolge wurden mit Mannschaften aus wenigen Vereinen erzielt, wie 1972 oder 2014, aber auch mit weniger eingespielten Mannschaften wie 1980 oder 1990. Einen leichten Vorteil für die Nationalmannschaft könnte aber existieren, falls viele Spieler durch ihre Vereine miteinander vertraut sind. Dies könnte (leider) auf einen Zielkonflikt zwischen Spannung in der Bundesliga in Bezug auf die Meisterschafteund Erfolg der Nationalmannschaft hindeuten.